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Channel: Seite 47 – Unser Havelland (Falkensee aktuell)
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Frühstück am Falkenhagener See: Oldtimer, Zigarren und Grammophon – es leben die Goldenen Zwanziger!

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Einmal im Jahr, da wird am Falkenhagener See in Falkensee die Zeit zurückgeschraubt. Die Goldenen Zwanziger (und auch die Dreißiger) feiern auf der grünen Wiese eine plötzliche Wiederauferstehung, wenn hochbeinige Oldtimer und ein Jahrhundert alte Motorräder lautstark herantuckern, um die Oldtimer Freunde Falkensee (www.oldtimerfreunde-falkensee.de) vor Ort zusammenzuführen.

Einmal im Jahr, immer am zweiten Samstag im August, findet am Falkenhagener See ein ungezwungenes Picknick ganz im Stil der alten Zeit statt. Plastik hat hier nichts zu suchen, wenn antike Tischdecken, Großmutters altes Geschirr, edle Kerzenständer und fein ziselisiertes Silberbesteck hervorgeholt werden. Daisy Ashton (51) aus Berlin-Pankow: „Wir bauen eine authentische Frühstückstafel im Grünen auf. Damals gab es noch echte Tischkultur. Beim Essen hat sich aber nicht so viel verändert. Es gibt Bouletten, Würstchen, Soleier, Kartoffelsalat und Klappstulle mit Schmalz.“

Der Organisator des urigen Treffens, das in diesem Jahr bereits zum 8. Mal abgehalten wurde, ist Hendrik Riedel (69) aus Staaken: „Ich habe mir vor vielen Jahren einen Oldtimer zugelegt – einen Durant Star von 1923 – und dachte, daraus müssen wir doch etwas machen. Ich gehe mit meiner Frau oft am Falkenhagener See spazieren. Hier ein Picknick im Stil der 20er und 30er Jahre abzuhalten, das wäre es doch, dachten wir. Angefangen haben wir mit vier Teilnehmern. Inzwischen sind es deutlich mehr geworden und jedes Jahr finden weitere Freunde der Goldenen Zwanziger zu uns. Wir sind kein Verein, eher eine lockere Vereinigung. Und ganz wichtig: Bei uns geht es nicht um die Politik, sondern nur um den Spaß.“

Wer über die Wiese flaniert, entdeckt überall etwas Interessantes. Ein uraltes Grammophon spielt Musik aus den Zwanziger Jahren. Jemand mäht den Rasen mit einem mechanischen Rasenmäher, der bereits vier Generation heil überstanden hat. Ein altes Cricket-Spiel wartet auf geübte Benutzer. In alten Glaskaraffen steht selbstgemachte Limonade bereit. Und mit dem passenden Werkzeug aus den Zwanziger Jahren zur Hand diskutieren die Oldtimer-Freunde darüber, wie sie die Elektronik- und Plastik-freien Autos und Motorräder am besten in Schuss halten. Nicht umsonst bezeichnen die Oldtimer-Freunde ihr Hobby als das „rostigste der ganzen Welt.“

Was ist für Hendrik Riedel so faszinierend an den Goldenen Zwanzigern? Er sagt: „Es ist der Stil, die Kleidung, die Autos. Damals hatten die Dinge noch eine andere Wertigkeit. Alles funktionierte, alles hatte noch eine einfache Mechanik. Elek­tronik ist Schickimicki, das brauchen wir doch gar nicht.“

Ist die Rückbesinnung auf eine Zeit vor einhundert Jahren eigentlich ein teures Hobby? Hendrik Riedel: „Jein. Viele Oldtimer-Freunde haben ihren Wagen voll restauriert, das war sicherlich teuer. Ich habe meinen Oldtimer so gekauft, wie er jetzt ist. Und da ich gelernter Autoschlosser bin, kann ich alle Arbeiten selbst ausführen und spare auf diese Weise Geld.“

Detlef Miethke (57) aus Berlin-Rudow ist ebenfalls beim Picknick mit dabei. Er fährt auf einer Zündapp DS 350 von 1938 vor: „Das war einmal ein Dachbodenfund. Mit der Maschine fahre ich auch im Straßenverkehr, die hat ein ganz offizielles Kennzeichen. Und wenn sie lieb ist, springt sie auch an. Ich habe viel Spaß an der alten Technik und daran, das am Leben zu erhalten. Dass ich hier beim Picknick mitmachen und der Öffentlichkeit altes KFZ-Kulturgut zeigen darf, freut mich sehr. Ich gehöre zur Motoren Veteranen Gemeinschaft Berlin, da sind viele Vorkriegsmodelle zu sehen.“

Es fällt auf, dass alle Anwesenden – etwa 30 mögen es in diesem Jahr gewesen sein – perfekt im Stil der Goldenen Zwanziger gekleidet sind. Wo kann man diese Westen, Schiebermützen und Knickerbocker-Hosen wohl einkaufen? Klaus-Andree Kasper (53) hört kurz mit dem Rasenmähen auf, nimmt die Zigarre aus dem Mund und erklärt: „Meine Frau Verena betreibt in Charlottenburg in der Damaschkestraße den Shop Retronia. Hier gibt es die Bekleidung der 20er Jahre in heutigen Konfektionsgrößen. Das ist wichtig, denn vor hundert Jahren waren die Menschen deutlich kleiner. Mir würde die originale Kleidung von damals nicht passen. Seit 2006 gibt es das Geschäft, einen Teil der Kleidung schneidern wir vor Ort selbst. Der Stil der Zwanziger liegt wieder im Trend. Die Leute kommen aus ganz Europa zu uns, um sich für eine Hochzeit oder eine Party im Stil der Goldenen Zwanziger einzukleiden. Ich selbst trage die Kleidung übrigens auch im Alltag, sie ist bequem und sieht gut aus. Den 100 Jahre alten Rasenmäher habe ich übrigens einmal bei ebay ersteigert.“

Während die Damen an Zigaretten am Ende einer langen Zigarettenspitze ziehen, schmauchen die Herren fast alle Zigarre. Das hat einen Grund, wie Hendrik Riedel weiß: „Damals waren Zigarren deutlich billiger als Zigaretten. Zigaretten hat sich nicht jeder leisten können.“

Hendrik Riedel hat die historisch begeisterten Besucher seines Picknicks genau im Auge – und hat sich für alle weiblichen Erst-Picknickerinnen etwas Schönes einfallen lassen: „Immer, wenn eine neue Dame zu uns kommt, schenke ich ihr einen echten Ring aus den Zwanziger Jahren. Da bin ich dann so etwas wie der Feldjuwelier.“

Die Falkenseer Badegäste, die bei 34 Grad über die Wiese schlenderten, bekamen beim antiken Picknick auf jeden Fall ordentlich etwas zu sehen. (Text / Fotos: CS)

Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 174 (9/2020).

Der Beitrag Frühstück am Falkenhagener See: Oldtimer, Zigarren und Grammophon – es leben die Goldenen Zwanziger! erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.


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