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Channel: Seite 47 – Unser Havelland (Falkensee aktuell)
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Haus ohne Heizung: Till Ratzeburg über fast energieneutrale Passivhäuser!

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Alle Welt spricht über CO2-Einsparungen, die Mobilitätswende, die Explosion der Energiepreise und über die Frage, wie wohl das Haus unserer Zukunft aussehen mag. Das Thema „Klima“ hat sogar die aktuelle Bundestagswahl massgeblich mit beeinflusst. Der Falkenseer Architekt Till Ratzeburg kennt sich mit all diesen Themen bestens aus – und hat gerade den „Klimaschutzpreis 2021“ vom Landkreis Havelland erhalten. Da ist es an der Zeit für ein ausführliches Gespräch.

Till Ratzeburg (57) stammt aus Mölln. Das liegt in Schlesweg-Holstein. Seit seinem sechsten Lebensjahr ist er aber in Berlin-Charlottenburg aufgewachsen – nur einen Steinwurf vom Ku’damm entfernt.

Till Ratzeburg: „Ich habe eine abgeschlossene Musical-Ausbildung und kann singen, tanzen und steppen. Mein erstes professionelles Engagement hatte ich in einer Aufführung der ‚West Side Story‘.“

Der Wahl-Berliner schloss aber auch noch ein Studium der Architektur ab – an der Hochschule der Künste (HdK): „Das Tanzen hatte durchaus Einfluss auf meine Arbeit als Architekt. Als Tänzer brauchst du immer viel Raum für die Choreografie. Für diesen Raum habe ich auch in meiner Architektur immer gesorgt. Ich habe schon während meines Studiums eine eigene Firma gegründet und sie ‚Blue Fish Design‘ genannt. Für Bars, Cafés und überraschend viele Optiker habe ich mich um die Innenarchitektur gekümmert. Dabei habe ich alle Formen immer rund gemacht, das war stets mein Thema. Dieser Ansatz kam auch ganz klar aus dem Tanzen.“

Die Projekte wurden mit der Zeit immer größer. Till Ratzeburg: „In Berlin ist es aufgrund der nicht mehr vorhandenen Freiflächen kaum noch möglich, neue Häuser zu bauen. In meiner Firma ging es also eher um Anbauten, um die Sanierung von Häusern oder um den Ausbau von Dachböden.“

In der Zeit kaufte sich der Architekt ein Grundstück in Falkensee, auf dem eine Laube stand. Hier verbrachte er nun mit seiner Frau und dem kleinen Sohn die Wochenenden. Till Ratzeburg: „Die Wohnung am Ku’damm mussten wir irgendwann räumen. Da war schnell klar: Wir ziehen nach Falkensee. Auf unserem Grundstück wollte ich ein eigenes Haus bauen. Das war im Jahr 2010. Damals gab es schon die Energieeinsparverordnung der EU mit der Zielsetzung, neue Häuser mit nahezu keinem Energiebedarf (’nearly zero energy building‘) zu bauen – und der Prämisse, dass ab 2020 verpflichtend zu machen. Da war mir klar: So ein Passivhaus, das baue ich mir!“

Passivhaus mit großer Fensterfront: Da, wo die Sonne die Heizung ist!

Das eigene Passivhaus ist 2010 in der Salzburger Straße in Falkensee entstanden. Es ist 145 Quadratmeter groß und weist eine Raumhöhe von 3,40 Metern auf – in bester Erinnerung an die hohen Decken in der Altbauwohnung am Ku’damm.

Ein Passivhaus ist so konzipiert, dass es im Wohnalltag so gut wie keine zusätzliche Energie mehr zum Heizen verwendet. Die richtige Dämmung und viel Sonnenlicht reichen hier bereits aus, um eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen. Till Ratzeburg: „Ich hab schon ein sehr radikales Passivhaus gebaut. Auf der sonnenstarken Südseite habe ich mit 85 Prozent Glasfläche gearbeitet, wobei die Fronten dreifach verglast sind. Scheint wenigstens zwei Mal in der Woche die Sonne für 2,5 Stunden, dann erwärmt sich das Haus innen auf 26 Grad. Damit es nicht zu heiß wird, können Markisen die Sonneneinstrahlung reduzieren. Scheint die Sonne einmal nicht, so braucht es drei Tage schlechtes Wetter, um die Temperatur um fünf Grad sinken zu lassen. Nur im absoluten Notfall schalte ich eine nicht sichtbare Wandheizung ein. Im Jahr fallen auf diese Weise gerade einmal 200 Euro Heizkosten an, das ist geradezu nichts. Bei stetig steigenden Energiepreisen und einer hohen Inflation ist das unsere zweite Rente.“

Natürlich ist das Haus auch optimal isoliert (40 Zentimeter Dämmung) und weist einen optimalen Grundriss auf. Eine nicht sichtbare Lüftung tauscht den ganzen Tag über die Luft im Haus aus, ohne dass man dafür ein Fenster öffnen müsste. Till Ratzeburg: „Ich bin Allergiker, also habe ich einen Pollenfilter in die Lüftung eingebaut. So sitzt man den ganzen Tag in der sauberen, frischen Luft – und der ganze Dreck bleibt draußen.“

Ein Passivhaus ist demnach keine Zauberei und kein obskurer Ökokram, sondern eine physikalisch ausgetüftelte Möglichkeit, seinen eigenen Energiebedarf drastisch zu senken und zugleich auf lange Sicht sehr viel Geld zu sparen.

Till Ratzeburg: „Wenn das ein Passivhaus ist, was ist dann ein Aktivhaus? Ein solches Haus versucht durch den Einsatz von Wärmepumpen und Solaranlagen die Energie zu gewinnen, die von den Bewohnern verbraucht wird. Auch so kann man die Bilanz ausgleichen. Das Aktivhaus ist aber teurer, weil man die eingesetzte Technik alle 20 Jahre erneuern muss.“

In Waldheim hat der Architekt inzwischen ein zweites Passivhaus gebaut – ein Zweigeschosser, das prompt zum „Passivhaus des Jahres 2017“ gekürt wurde: „Man sagt, dass Passivhäuser rein statistisch gesehen sechs Prozent teurer sind als normale Häuser. Dem möchte ich gern widersprechen. Man muss für das Passivhaus unbedingt noch mehr Werbung machen.“

Das Falkenseer Hallenbad als Passivhaus?

An Falkensee schätzt der Architekt, dass er sich hier als Bürger beteiligen kann. Für die Lokale Agenda 21 Falkensee nahm Till Ratzeburg im Hallenbadausschuss Platz und setzte durch, dass das geplante Hallenbad eine den Energiebedarf senkende Bodendämmung bekommt: „Es wurde behauptet, dass eine Bodendämmung nichts bringt, dem habe ich widersprochen. Das Hallenbad steht im fließenden Grundwasser, da würde die Wärme ständig fortgetragen werden. Da hätten die Badegäste aber gestaunt, wenn sie oben im Becken bei 28 Grad plantschen – und beim Tauchen wird es plötzlich eisig.“

Für sein berufliches wie auch ehrenamtliches Engagement für mehr Klimaschutz wurde Till Ratzeburg am 6. Oktober der Klimaschutzpreis 2021 für den Landkreis Havelland verliehen. (Text/Fotos: CS)

Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 188 (11/2021).

Der Beitrag Haus ohne Heizung: Till Ratzeburg über fast energieneutrale Passivhäuser! erschien zuerst auf Unser Havelland (Falkensee aktuell).


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