Bei den Havelländer Landwirten steht die Getreideernte an. Und natürlich fragen sich die Bauern: Wie wird die Ernte in diesem Jahr wohl ausfallen? Die Landwirte haben schlimme Jahre hinter sich. Ein total verregnetes 2017 mit zwei direkt darauf folgenden Dürrejahren haben dafür gesorgt, dass die Erträge drei Jahre in Folge weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind. Gerade im letzten Jahr war es schwer für die Bauern, Futterreserven für das Vieh im Winter heranzuziehen.
Im laufenden Jahr gab es nach einem viel zu trockenen April endlich wieder ausreichende Niederschläge im Mai und Juni. Allerdings sorgten Nachtfröste mit Temperaturen von bis zu -7 Grad Ende März dazu, dass es in vielen Kulturen immense Frostschäden gab. Wie sich das auf das Korn auswirkt, muss abgewartet werden.
Am 2. Juli luden die Landwirte passend zum offiziellen Ernteauftakt des Kreisbauernverbandes Havelland zu einem Pressefrühstück in Warsow ein, um eine persönliche Ernteprognose abzugeben. An einem sich bis zum Horizont erstreckenden Getreidefeld stellte sich zunächst Landwirt Heiko Gräning zusammen mit seinem Cousin René Kutscher vor. Die beiden bauen auf 190 Hektar Roggen, auf 45 Hektar Gerste, auf 30 Hektar Raps und auf 45 Hektar Mais u.a. für die Biogasgewinnung an. Hinzu kommen 220 Hektar Grünland.
Der Betrieb hat sich an die schweren Bedingungen angepasst, so erklärt Heiko Gräning: „Wir beschäftigen keine Fremdarbeiter mehr und arbeiten nur noch mit der Familie auf dem Hof. Milchkühe haben wir abgeschafft, wir halten stattdessen Mutterkühe. Wir sehen die Entwicklung in der Bevölkerung sehr skeptisch. Für viele sind wir nicht mehr die Ernährer. Die vielen Auflagen und Verordnungen sorgen dafür, dass immer mehr Landwirte aufgeben. Die Produktion wird ins Ausland gedrängt, wo niemand mehr auf die Bedingungen achten kann. Ich hätte gedacht, dass Corona zu einem Umdenken führt und die Menschen wieder Wert auf eine lokale Landwirtschaft legen, aber das ist leider bislang nicht der Fall.“
Zur Ernte, die der Betrieb Gräning & Kutscher erwartet, sagt Heiko Gräning, der auch Kreistagsabgeordneter der Wählergruppe Bauern ist: „Unser Boden ist ausgedörrt, da gibt es keine Reserven mehr. Wir sind beim Wasser auf den Herrgott angewiesen, es muss regnen. Der Regen kam im Mai und im Juni zum Glück genau zur rechten Zeit. Wir erwarten eine durchschnittliche Ernte. Schön wäre es, wenn der erzielte Preis beim Verkauf von Roggen und Gerste ebenfalls dem Durchschnitt entsprechen würde, dem ist aber leider nicht so.“
In den letzten Jahren konnte der Betrieb Mindereinnahmen zumindest teilweise mit dem Verkauf von Heu an Pferdehöfe vor allem aus Berlin kompensieren.
Detlef Wacker ist stellvertretender Vorsitzender des Kreisbauernverbandes und selbst Landwirt in Selbelang. Auch er geht in diesem Jahr von einer durchschnittlichen Ernte aus, wenn man das Mittel der letzten fünf Jahre zieht. Beim Weizen durfte passend zu den Erträgen der letzten Jahre nur mit wenig Stickstoff gedüngt werden. Wacker: „Ohne Stickstoff keine Aminosäuren. Ohne Aminosäuren keine Proteine. Ohne Protein kein Korn. Hier wissen wir noch nicht, wie hoch die Qualität des erzeugten Weizens ausfallen wird. Beim Roggen sind wir optimistischer, hier erwarten wir zumindest Brotroggenqualität.“
Detlef Wacker würde gern eine Lanze für den Raps brechen. Der Raps sorgt mit seinen gelben Blüten für einen prachtvollen Anblick der Felder im Frühling. Und er sei eine ergiebige Bienenweide und eine tolle Fruchtfolge auf den Feldern, die beim Aufbau organischer Bodensubstanz hilft. Doch: „Der Raps wird politisch ausgebremst. Seitdem die Saatgutbeizung verboten ist, bekommen wir die Kohlfliege nicht mehr in den Griff. Nahezu alle Pflanzen sind befallen. Zehn von vierzig Dezitonnen Raps im Jahr sind bereits verloren gegangen, weil immer weniger Bauern auf den Raps setzen. Beim Raps haben wir es in diesem Jahr auch mit Frostschäden zu tun: Bei vielen Pflanzen ist der Stängel geplatzt. Das vernarbt wieder. Aber wie sich das auf den Ertrag auswirkt, das können wir jetzt noch gar nicht sagen.“
Der Mais, der zurzeit gut wächst, wird von vielen Landwirten auch genutzt, um die Futterreserven für die Tiere wieder aufzufrischen. Detlef Wacker: „Wir Landwirte hatten sonst immer einen Silo Mais auf Reserve zu liegen. Aber diese Reserve gab es zuletzt gar nicht mehr.“
Volker Karle aus Friesack ist der Vorstandsvorsitzende der Agrargenossenschaft Friesack. Er hat in seinem Betrieb mit 22 Mitarbeitern ebenfalls die Milch aufgegeben und setzt stattdessen auf die Mutterkuhhaltung. In den Sommermonaten stehen 770 Kalbungen auf dem Hof an, im Herbst werden die Kälber verkauft. Die Bullen behalten die Landwirte meist, um sie selbst zu mästen.
Während viele andere Landwirte aus der Region den Raps aufgeben, baut Volker Karle ihn erst seit drei Jahren an – auf 140 Hektar: „Wir haben das 20 Jahre lang nicht mehr gemacht. Die Kohlfliege ist sehr territorial. Noch hat sie unsere Felder nicht gefunden.“
Johannes Funke, Landtagsabgeordneter in Potsdam und zugleich Geschäftsführer des Kreisbauernverbandes Havelland, hat das Treffen initiiert. Er bereitete die Landwirte auf neue Förderrichtlinien vor: „Derzeit gehen alle Beteiligten von einer weiteren Ökologisierung der EU-Förderung aus, was auch bei den letzten EU-Reformen zu beobachten war. Brisant ist für die ostdeutsche Landwirtschaft nach wie vor die Diskussion um eine Obergrenze der Flächen je Betrieb. Eine Anrechnung von Arbeitsplätzen könnte eine Hintertür darstellen, die gerade den tierhaltenden Betrieben entgegenkommen würde.“
Zu den großen Sorgen der Landwirtschaft zählt Funke auch die Situation beim Nachwuchs. Von 35.000 Tätigen in der Agrarwirtschaft in Brandenburg werden in den kommenden Jahren 20.000 aussteigen – aufgrund ihres Alters oder der normalen Fluktuation. Wer soll sie ersetzen? Johannes Funke: „Hier werden viele Anpassungen erforderlich sein, manche innovativ etwa durch Roboter, manche schmerzlich durch strukturelle Anpassungen.“
Bis Roboter die Arbeit auf dem Feld autark verrichten können, müssen aber noch ganz normale Probleme gelöst werden. Detlef Wacker: „Wir dürfen mit unseren Erntefahrzeugen weiter nicht auf die Kraftstraßen und müssen uns dann durch die Städte quälen und durch viel zu enge Kreisverkehre fahren. Wir wünsche uns eine Sonderregel, damit wir für acht Wochen auch auf die B5 dürfen.“
Viele Bauern denken darüber nach, in Photovoltaic-Anlagen zu investieren – auf dem Feld oder auf dem Kuhstall. René Kutscher: „Es ist traurig, dass Strom mehr Geld bringt als die Bewirtschaftung meiner Felder.“ (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 173 (8/2020).
Der Beitrag Durchschnitt erwartet: Havelländer Landwirte geben eine Ernteprognose ab! erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.